Leben und investieren? Die Infrastruktur muss passen!
Andrew Belt, Leiter Thought Leadership im Team Corporate Communications bei PATRIZIA, macht deutlich, wie wichtig Infrastruktur für die Wahl von Wohn- und Investitionsstandorten ist. Er stützt sich dabei auf Studien sowie die Einschätzung der PATRIZIA Experten, Graham Matthews, PATRIZIA Head of Fund Management Infrastructure, und Phoebe Smith, PATRIZIA Head of Fund Management RE-Infra.
Vor über zehn Jahren zog ich nach Reading, damals noch als Lokaljournalist. Meine erste Frage an die Menschen vor Ort: Was ist das Beste an dieser Stadt? Die Antwort überraschte mich damals – heute nicht mehr. Sie lautete: die Anbindung. Damals klang es für mich so, als wolle man vor allem schnell weg. Und mit der Zeit verstand ich, warum das zählt: die M4 bis nach Wales und nach West-London, Anschluss an weitere Autobahnen quer durchs Land, ein großer Bahnhof mit regelmäßiger, gut getakteter Verbindung nach London – ideal für Pendlerinnen und Pendler. Und Heathrow? Nur knapp 30 Autominuten entfernt, ebenfalls über die M4. Ja, heute verstehe ich, wie Infrastruktur unseren Alltag prägt und ein ganz entscheidender Faktor dafür ist, wo wir leben wollen.
Infrastruktur formt Lebensqualität
Bei der Wohnungssuche steht „Infrastruktur“ selten ganz oben. In der Realität bestimmt sie jedoch, welche Orte vorne liegen. Eine Studie des Housing Education and Research Initiative (HERI) an der Michigan State University aus dem Jahr 2018 bringt es recht pointiert auf den Punkt: Infrastruktur ist der Dreh- und Angelpunkt jedes Wohnprojekts – sie ist der Schlüssel zum Erfolg. Aufbauend darauf lassen sich die Prioritäten von Entwicklern und Kommunen zu fünf Kernfeldern bündeln: Bildung, Versorgung (Utilities), Beschäftigung, digitale Netze und Verkehr.
Die Spannweite ist groß. HERI ordnet das Thema in 13 Hauptkategorien und 38 Unterkategorien – vom Offensichtlichen (Wasser/Abwasser, Strom, Breitband, Straße/Schiene) bis hin zu Bausteinen, die klassisch eher dem Immobilienkontext zugerechnet werden (Nahversorgung, soziale Infrastruktur). Nicht alles fällt in eine enge, investierbare Definition von „Infrastruktur“. Aber genau diese Systematik zeigt, wie viele Zahnrädchen ineinandergreifen müssen, damit lebendige, gut versorgte Quartiere entstehen. Wer neue Wohnquartiere plant, verkauft nie nur Grundrisse – er verkauft Zeitgewinn (kürzere Wege), Sicherheit (verlässliche Netze) und Chancen (Zugang zu Bildung und Jobs).
Und Infrastruktur prägt Lebensstile: Glasfaser entscheidet darüber, ob Homeoffice angenehm funktioniert – oder frustriert. Ein dichter ÖPNV-Takt macht das Zweitauto überflüssig. Eine gute Grundschule um die Ecke ist für Familien ein handfestes Standortargument. Selbst „unsichtbare“ Netze wie Abwasser oder Stromversorgung wirken unmittelbar, spätestens, dann, wenn sie ausfallen.

Anspruch und Wirklichkeit: Großbritanniens Wohnungsbau im Stresstest
Die Institution of Civil Engineers (ICE) hat 2025 mit „Enabling infrastructure for housing“ ein positionsstarkes Papier vorgelegt: Infrastruktur ist Voraussetzung, damit Wohnbau wirkt – und ein Hebel für Wirtschaftswachstum. Am Beispiel Großbritanniens wird das Dilemma sichtbar: Ziel sind 1,5 Mio. neue Wohnungen. Gleichzeitig werden zu wenige Projekte konsequent um bestehende Städte herum gebündelt und zu oft konzentriert man sich auf Brownfield-Flächen – also konversionsfähige Areale mit früherer industrieller oder gewerblicher Nutzung –, die anstelle von öffentlichem Nahverkehr die Autoabhängigkeit begünstigen.
Der ICE hält den Spiegel hoch – mit europäischen Vergleichen:
- Paris, Madrid und Mailand besitzen Zonen, die mehr als doppelt so dicht besiedelt sind wie der dichteste Teil Londons.
- Greater Manchester hat 600.000 Einwohner mehr als Hamburg, aber 300.000 Menschen weniger, die innerhalb von 30 Minuten das Stadtzentrum erreichen können.
- In Leeds schaffen es nur 38 % der Bewohner, die Innenstadt in 30 Minuten zu erreichen, in Marseille bei einer ähnlichen Größe sind es ganze 87 %.
Parallel stapelt sich ein Umsetzungsrückstand: In London sind über 300.000 genehmigte Wohnungen noch nicht gebaut. Das unterstreicht die Schwierigkeit, Wohnraum genau da zu schaffen, wo die Nachfrage im Königreich am höchsten ist. Mit der vorhandenen Infrastruktur in und um diese Städte sowie der Urbanisierung als bestehendem Megatrend liegt es nahe, Wohnungsbau genau dort zu bündeln. So lässt sich die bislang ungenutzte Nachfrage besser bedienen. Zugleich macht diese Verdichtung Infrastruktur-Upgrades erforderlich und lenkt zusätzliches Kapital in die begehrtesten Wohnlagen. Und eines ist klar: Wohnungsprogramme funktionieren nicht im Alleingang. Sie müssen Hand in Hand mit kapazitätserweiternden Infrastrukturmaßnahmen und einem klaren Netto-Null-Pfad gehen.
Enabling Infrastructure – was steckt dahinter?
„Enabling Infrastructure“ meint die Erschließungs- und Anbindungsinfrastruktur, also sowohl den Neuausbau als auch die Ertüchtigung bestehender Netze, damit gut angebundene Flächen überhaupt wohnfähig werden. Im Mittelpunkt steht die Mobilität – Bahn, Bus, Rad- und Fußwege samt Knotenpunkten –, ergänzt um Energie-, Wasser-/Abwasser- und Breitbandnetze. Der ICE-Bericht bestärkt diesen Ansatz ausdrücklich: Wo diese Bausteine zusammenspielen, lassen sich Wohnungsbauziele schneller und verlässlicher erreichen. Zugleich wird privates Kapital in gefragten Lagen gebündelt und der Weg zu Klimaneutralität geebnet. Es entstehen zukunftsfähige, lebenswerte Quartiere, in denen neuer Wohnraum konsequent an starke Netze gekoppelt ist.
Um die Hürden bei der Bereitstellung von Erschließungs- und Anbindungsinfrastruktur wie fehlende strategische Planung, ungenau definierte Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, Planungsprobleme, öffentliche Akzeptanz sowie Investitionslücken anzugehen, schlägt der ICE folgendes vor:
- Strategische Raum- und Standortentwicklung stärken
- Kapazitäten der bestehenden Netze optimal ausschöpfen
- Finanzierungslücken schließen und Kapital mobilisieren
- Planungsverfahren optimieren und frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung sicherstellen
Das Fazit des ICE ist so simpel wie weitreichend: „Wohnungs- und Infrastrukturplanung müssen integriert werden, um öffentliche und private Akteure zu koordinieren, Kosten und Verzögerungen zu reduzieren und Wohnungen dort zu bauen, wo sie den größten sozialen und ökonomischen Nutzen stiften.“ Dem kann Graham Matthews, Head of Fund Management Infrastructure bei PATRIZIA, nur zustimmen: „Ohne Infrastruktur kein Living-Sektor“, sagt Matthews. Und weiter:

Graham Matthews
PATRIZIA Head of Fund Management Infrastructure
„Bessere Infrastruktur hebt die Standortqualität und sorgt für bessere Angebote vor Ort“.
Politik liefert Signale: UK-Strategie und deutsches Infrastrukturpaket
Bestätigung erfährt dieses Sentiment im Juni 2025, als die britische Regierung ihr 10-Jahres-Infrastrukturprogramm (10-Year Infrastructure Strategy) veröffentlicht. Finanzministerin Rachel Reeves formuliert den Anspruch klar: Infrastruktur ist der Schlüssel, um Wachstum im ganzen Land zu entfesseln; wir verbessern öffentliche Dienste, Lebensqualität und schaffen die Bedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Vom 725 Mrd. GBP-Paket (~830 Mrd. EUR) fließen unter anderem 1 Mrd. GBP (~1,15 Mrd. EUR) in die Instandhaltung zentraler Verkehrsbauwerke (Brücken, Überführungen, Knoten), 590 Mio. GBP (~676 Mio. EUR) in den Lower Thames Crossing (eine Tunnelverbindung zwischen Kent und Essex) und 16 Mrd. GBP (~18,3 Mrd. EUR) in den Bau von über 500.000 Wohnungen mit einem privaten Hebel von über 53 Mrd. GBP (~60,7 Mrd. EUR). Der Lower Thames Crossing soll Staus abbauen, die Kapazität verdoppeln, Reisezeiten verkürzen und damit die Lebens- und Arbeitsrealität in Kent und Essex konkret verbessern.
In Deutschland sollen mit Mitteln aus dem viel beachteten Infrastrukturpaket über 500 Mrd. EUR Energie, Verkehr, Digitalisierung, Wissenschaft, Forschung & Entwicklung, Bildung und Krankenhäuser (weitere Hintergründe dazu hier) modernisiert und ausgebaut werden. Interessant wird sein, wo das Geld am Ende landet: Es kann die lokale Wirtschaft stärken und attraktive Wohnangebote anstoßen. Gut für Anleger und fürs Wohnen selbst.
Graham Matthews formuliert es wie folgt: „Transportmittel bewegen Menschen und Dinge, digitale Infrastruktur bewegt Ideen.“ Und beide Infrastrukturbereiche sind entscheidend, um attraktive Living-Standorte zu identifizieren.


Infrastruktur, Standorte, Daten-Insights
Das PATRIZIA Investment Strategy & Data Intelligence-Team verankert Infrastrukturfaktoren in standortbezogenen Algorithmen. So fließen im PATRIZIA City Ranking, das 142 europäische Städte nach Investitionsattraktivität einordnet, alle Konnektivitätsmerkmale als Infrastrukturmerkmale ein. Bewertet werden unter anderem die Zahl der (Flughafen-) Passagiere, der Anteil der Pkw-Pendler, die durchschnittliche Pendelzeit, der ÖPNV-Anteil sowie die Häufigkeit der Internetnutzung. Konnektivität erhält dabei eine Gewichtung von 25 % in der Gesamtbewertung; ein deutlicher Beleg dafür, wie wichtig Infrastruktur bei der Auswahl der besten Investitionsstandorte ist, mit besonderem Fokus auf den Sektor Wohnen.
Bemerkenswert ist, wie stark Wohnen und Facetten, die man traditionell dem Immobilienbereich zurechnet, inzwischen in Infrastruktur-Forschung und Regierungsplänen mitgedacht werden. So sind im genannten britischen 10-Jahres-Infrastrukturprogramm 16 Mrd. GBP (ca. 18,3 Mrd. EUR) explizit für die Errichtung von Wohnraum vorgesehen. Die Grenze zwischen den Assetklassen Real Estate und Infrastruktur verwischt also. Und da der ICE für integriertes Denken plädiert, bei dem Infrastruktur konsequent einbezogen wird, um beste Ergebnisse im Wohnungsbau zu erzielen, ist kombinierte Expertise künftig der Schlüssel, dieses Potenzial zu heben.
RE-Infra: Immobilien & Infrastruktur wachsen zusammen
Dieser Ansatz liegt klar auf Linie mit der RE-Infra-Strategie von PATRIZIA: Immobilien und Infrastruktur werden zu integrierten Investmentlösungen gebündelt. Gerade im Wohnungsbau, wo viele Akteure zusammenwirken, schafft RE-Infra klare Investitionspfade und nutzt die Expertise beider Assetklassen, um ganzheitliche Lösungen zu liefern. Im großen Maßstab weist das den Weg zu Smart Cities.

Phoebe Smith
PATRIZIA Head of Fund Management RE-Infra
Phoebe Smith, PATRIZIA Head of Fund Management RE-Infra weiß:
„Mit einer integrierten Real-Asset-Plattform, die Immobilien- und Infrastrukturwerte in einer gemeinsamen Strategie vereint, lassen sich die Wertschöpfungsketten beider Assetklassen zusammenführen und entlang des gesamten Investment-Lebenszyklus Mehrwert und Synergien heben.“
Je mehr Gewicht Infrastruktur erhält, desto eher wird sie Teil der Lösung und verbessert die Gebäude und Städte, in denen wir leben und investieren.
Was heißt das am Ende für die Wohnfrage?
Die Wohnungsfrage ist keine reine Baufrage. Sie ist eine Infrastrukturfrage. Und eine Koordinationsaufgabe. Dort, wo Infrastruktur stark ist, Genehmigungen vorhersehbar sind und Investitionen ineinandergreifen, entstehen die Quartiere, die Menschen wirklich wollen: gut angebunden, energieeffizient, digital vernetzt – mit Schulen, Versorgung und Freizeitangeboten in erreichbarer Nähe. Genau hier liegt der Schnittpunkt von öffentlicher Hand und privatem Kapital: Ermöglichende Infrastruktur schafft die Voraussetzungen, Wohnen macht sie sichtbar.
Oder, um es noch einmal mit Graham Matthews zu sagen: „Der Living-Sektor existiert nicht ohne Infrastruktur.“ Infrastruktur ist kein Nebensatz im Exposé – sie ist die Grundlage. Und sie entscheidet mit, ob eine Adresse zur Heimat wird.